Sagen aus Ludesch

Der Wassermann vom Tanzbrunnenbächle

 In alter Zeit war es in Ludesch Brauch, dass alle Mädchen aus dem Dorfe am Sonntagnachmittag beim Tanzbrunnen zusammen kamen. Sie setzten sich auf den langen, aus einem mächtigen Baumstamm ausgehöhlten Trog, strählten einander und flochten die schwarzen, braunen und blonden Zöpfe. Dabei tauchten sie, damit es besser und flinker gehe, den Strahl fleißig in den Brunnen. Die Buben aber strichen in der Nähe herum und sobald die Meiggi fertig waren, holten sie sie zum Tanz auf die Tanzlaube am Tanzbühel:

Ammareile, Zuckerzeile, 

Kumm mir gond gi tanza!

Sure Rüable nimm in Sack 

und Habermeahl in Ranza! (1)

 Anmerkung 1: Noch zu Urgroßmutters Zeiten nahmen die Mädchen auf dem Lande, wenn es zum Tanze ging, fest ausgedrückte saure Rüben im Juppensack mit, die sie sich mit ihren Buben gegen den Durst schmecken ließen.

Die Meiggi schürzten die weiten roten Röcke (2) und folgten den Buben. In der Laube hin ging der Tanz wie der Wind, dass alles stob und flog. 

Da geschah es einst, als die Meiggi wieder beim Tanzbrunnen saßen und sich strählten, dass ein fremder Mann zum Trog kam. Sobald der Tanz begann, trat er zur Schönsten und nahm sie bei der Hand. Aber nicht in die Laube führte er sie. Ihr Tanz ging entlang dem Wasser und hinab beim Tanzbrunnenbächlein. Und im Brühl (3), wo dieses im Boden versinkt, niemand weiß wohin, waren die beiden plötzlich verschwunden. Keiner sah das Mädchen wieder. Die Leute glauben, dass der Fremde ein Wassermann sei, der dort in feuchter Tiefe wohne. 

Anmerkung 2: Die alte Walgauer Tracht hatte rote Röcke, dazu trug man eine Pelzhaube

Anmerkung 3: Brühl (1521 pruel) von prolium = Fettwiese, dieses Gebiet war in früherer Zeit Überschwemmungsgebiet der Lutz.
 


Die Hexe am Stein

Der „hangige Sta“, die Ludescher sagen „Am hangenda Ste“, ein großer, jäh abstürzender Felsriegel, der, als Ausläufer des Hohen Fraßen, weit in die flache Talebene gegen die Ill vorstößt, trennt den vorderen vom hinteren Walgau: In seinen Schrofen haust die „Hexe am Stein“. Auf unersteiglicher Höhe sitzt sie mit lang herabwallendem rotem Haar und lockt die Burschen ins Verderben. Denn wenn sie einer erschaut, kann er es nicht lassen; immer wieder zieht es ihn hin und lockt ihn, zu ihr hinaufzusteigen, bis man ihn eines Tages zerschmettert im Abgrunde liegen findet. So treibt sie es schon seit Jahrhunderten. Diese Hexe ist eine verworfene Dirne aus dem Dorfe Ludesch, die zur Pestzeit ein leichtfertiges Leben führte und die Burschen in ihr wüstes Treiben hineinzog. Noch jetzt zeigt sich das Volk das Haus, in dem sie wohnte. Es ist hochgiebelig mit steinernem Anbau und entstammt der grauen, düsteren Heidenzeit. Schon damals war es ein Wirtshaus, und der Steinbau daran war ein Götzentempel. Unheimlich ist dieses Haus und in den letzten furchtbaren Pestwochen ging alles Übel und das schreckliche Sterben von ihm aus. Die sündige Dirne muss nun als Hexe am „hangigen Stein“ draußen sitzen. Noch jetzt brütet sie Unheil, zwingt sie Burschen in ihren Bann und stürzt sie in den Tod.



Der Riese von Parx

In Ludesch steht auf hohem Hügel am Berghang schlank und leicht ein gotisches Kirchlein, das St. Martin geweiht ist. Allerlei halb erloschene Malereien und Schilder mit bäuerlichen Hauszeichen zieren die Wände.

Es ist uralt, schon vor der Zeit Karls des Großen stand es inmitten grüner Rebhalden am gähen Hange. Bei seinem Baue half ein riesengroßer Mann aus Parx. Ohne diesen hätte man das Kirchlein gar nicht fertig gebracht. Als es nun vollendet war und ins tiefe Tal hinabschaute, wusste niemand Rat, wie die Glocke die steile Rebhalde hinaufbringen. Der Riese allein war nicht verlegen. Mit gewaltiger Kraft schwang er die Glocke auf den Rücken und trug sie den Berg empor. Zum Lohne verlangte er des Landweins genug und leerte dann einen ganzen Kübel voll roten Walgauer in einem Zug. 

Zum Andenken an den Riesen hat man später sein Bild mit der Glocke auf die Außenwand des Kirchleins gemalt, jetzt ist es aber ganz verblasst und kaum mehr zu sehen.



Die Glocke von St. Martin

Die Glocke, welche der Riese von Parx getragen, hatte einen wunderbaren Klang. Er scholl durch das ganze Tal und noch weit darüber hinaus über alle Spitzen und Berge hin. Sogar in Gargellen hörte man das Geläute. Von dort mussten die Bauern fast neun Stunden weit bis ins Martinskirchlein zur Messe gehen, denn es war lange die einzige Kirche im ganzen Walgau und Montafon. Viele wollten allerdings wissen, dass nicht jedermann die Glocke von St. Martin bis nach Gargellen hinein vernehme. Der Senne allein hätte es gekonnt, ein unfrommer, wilder Geselle, der nie ins Tal hinabstieg, nicht einmal an den heiligen Zeiten zur Messe. Deshalb schickte man den Büttel zu ihm auf die Alpe, um ihn zum Kirchgange zu laden. Der Senne aber erklärte, er habe den weiten Weg nicht nötig, er höre die Messe auch in Gargellen, der Büttel solle ihm nur mit seinem rechten Fuß auf seinen linken treten. Dieser tat es und hörte alsbald die Glocke vom Martinskirchlein zur Wandlung läuten und den Messgesang der Gemeinde. Da wusste er, dass es nicht mit rechten Dingen zuging und machte sich eilig davon. 



Das Muttergottesbild

An die Statue der Madonna mit dem Kind, auf dem südlichen Seitenaltar in der Kirche, knüpft sich folgende Sage: Ein wilder Landsknecht sei einst in die Kirche eingedrungen und habe voll boshafter Rohheit mit dem Schwert einen Hieb gegen das Muttergottesbild geführt und ihm den Kopf gespalten. Allein den Frevler ereilte allsogleich die Strafe: unter der Kirchentüre stürzte er tot zu Boden. Heute noch sieht man die Schramme von der rechten Stirnseite bis zum Kinn am Madonnenhaupt und seit jener Zeit wendet sich das Jesuskind von der Muttergottes ab. Schon oft versuchte man, das göttliche Kind anders hinzudrehen, dass es wieder zur Mutter blicke, aber immer vergeblich.

 

Die Pest in Ludesch

In alter Zeit kam die Pest zweimal nacheinander nach Ludesch (1628/29 und 1635).

Das erste Mal brach sie in der Judengasse aus und kam schon bis nach Parx hinein. Da gelobten die Bauern, wenn sie verschont blieben, hart an der Pestgrenze eine Kirche zu bauen und sofort endete die Seuche. Sie aber vergaßen allzu schnell Angst und Gefahr. Ein Kirchenbau dünkte sie ein beschwerliches und kostspieliges Gelübde, ein Bildstöckchen, vermeinten sie, täte es auch und setzten ein solches an jene Stelle (bei der Sennerei).

Dabei überkam es alle wie ein Taumel. Es war in einem Weinjahr, so gut wie noch nie in den Torkeln war jede Butte voll und die Ludescher trieben es arg bei Suser und Tanz. Am ausgelassensten ging es im Torkel (Weinpresse) beim Tanzbrunnen zu und in der Tanzlaube nebenan. 

Da kam plötzlich die Pest zum zweiten Male. Mitten unter die Tanzenden kam sie, in den wilden Jubel auf der Laube. Neunundneunzig an einem Tage streckte sie hin (Sie alle liegen in einem gemeinsamen Grabe oben im Martinskirchlein, wie eine alte Inschrift besagte.)

Da erfasste das ganze Dorf Zittern und Reue. Die Mädchen setzten einander in der Tanzlaube Totenkränze auf; die Männer gingen an den Bau versprochener Kirche und sobald sie begonnen hatten, erlosch das Sterben. Sie aber führten das Werk reuig zu Ende und die Kirche, welche sie in der Pestnot erbaut hatten, ist jetzt die Pfarrkirche von Ludesch (geweiht den Pestpatronen Sebastian und Rochus und dem bisherigen Kirchenpatron St. Martin).

 

Das Pestkreuz

Gleich rechts neben dem Eingang zur Martinskirche findet sich ein roh behauenes (80 cm hohes), verschmortes Kreuz aus Stein und Tuff (Tugsté). Das Kreuz ist gleicharmig und so niedrig, dass das Sommergras darüber hinweg weht. Von diesem Kreuz weiß die Sage, dass es über einem Grabe gestanden habe, in welchem zur Pestzeit (1635) neunundneunzig an einem Tag bestattet wurden. Früher habe darauf folgende Inschrift gestanden: „Klag über Klag Neunundneunzig in einem Grab!“

 

Das alte Möhrle

Eine Ludescher Volkssage befasst sich mit dem liederlichen Mesner, durch dessen Nachlässigkeit die frühere Altartafel im Jahre 1594 zugrunde ging, weshalb der Mesner heute noch geistern müsse. Das alte Möhrle sah öfters einen Mesner aus der Sakristei kommen zwar mit einem Löschhörnchen in der Hand. Der Mesner trat zum Hochaltar hin, als wollte er die Kerzen löschen und verschwand immer; wahrscheinlich war es der Geist des liederlichen Mesners.

 

Der Priester mit dem Totengesicht

Der Schulknabe Johann Josef Fritsche erzählt von seiner Großmutter folgendes: Als diese 17 Jahre alt war, pilgerte sie mit einigen Freundinnen zur Martinskirche hinauf. Sie beteten dort und gingen, als es schon dämmerte, noch um die Kirche herum und schauten zufälligerweise zum Sakristeifenster hinein. Da sahen sie drinnen einen Priester. Dieser hatte ein aschfahles Totengesicht und bekleidete sich eben mit den kirchlichen Gewändern, als wollte er die Messe lesen. Die Mädchen fürchteten sich und liefen davon. Diesen Priester hatten schon früher mehrere Personen gesehen. 

 

Der weiße Fleck

Das alte Möhrle musste, da man in der Sebastianskirche draußen für den anderen Tag noch ein schwarzes Messgewand brauchte, noch spät am Abend nach St. Martin hinauf, das Messgewand holen. Als Möhrle in die Kirche trat, sah er in den rechten vorderen Bänken jemanden sitzen. Er holte aber dennoch das Messgewand und schloss die Türe wieder zu. Am anderen Tag war an dieser Stelle ein weißer Fleck. Trotzt eifrigen Putzens war der Fleck nicht zu entfernen. Der Mesner nagelte deshalb mit Holznägeln ein Brett darauf, das heute noch zu sehen ist. 

 

Das Männlein mit dem roten Rock

Auf dem Gebälk ob dem Vorzeichen (Vorhalle) sei auch ein Geist, er habe einen roten Rock an. Zwei Kinder, die in der Nähe der Martinskirche daheim waren, gingen noch spät abends zur Kirche hinauf, um Putzsand zu holen (Sand zum Pfannenputzen von den Tugbächen). Oben angekommen sagte das eine Kind: „Schau dort hinauf, ober dem Vorzeichen ist ein kurioser Mann und winkt zu uns herunter.“ Erst nach einer Weile sah auch das andere Kind oben einen Mann stehen. Der hatte einen roten Rock an und auf dem Kopf ein altes Montafonermeßle. Der Mann hatte ein langes, weißes Gesicht und einen starren, toten Blick und drohte den Kindern mit dem Zeigefinger. Vor Schrecken vergaßen die Kinder auf den Putzsand und liefen davon. 

 

Beleuchtung um Mitternacht

Die Martinskirche soll schon mitten in der Nacht beleuchtet gewesen sein. Ein Ludescherberger, der in der Mühle (am Fuße der Martinskirche bis ca. 1880) in Ludesch das Mehl holte, ging noch um Mitternacht an der Kirche vorbei. Da sah er die ganze Kirche beleuchtet; drinnen wurde georgelt und fromme Lieder erklangen. Als er hineinging und schauen wollte, verschwand alles und in der Kirche war es wieder dunkel.

Auch soll man öfters die Kirche brennen gesehen haben. Man hörte das Feuer prasseln, sah die Flammen emporzüngeln und über dem Dach zusammenschlagen. Wenn man hinging, war alles verschwunden. In der Kirche rufe es auch zu gewissen Zeiten, der Ruf dringe einem durch Mark und Bein. Fast in allen Winkeln der Kirche spuke es und in Ludesch gibt es manche Leute, die sich um Mitternacht nicht um viel Geld in die Kirche wagen würden.

 

Die St. Martinsbruderschaft

Sie wurde im Jahre 1508 durch den Pfarrer Bastian Brandis mit Frühmesser Schwickert Gottgab und unter Mithilfe von 130 Personen gegründet. Sie alle stifteten zusammen den großen Jahrtag für alle Wohltäter des Gotteshauses St. Martin und die dort bei der Kirche Ruhenden, ferner für jene, so in unseren Nöten zu Frastaz oder anderswo umgekommen sind (1499).

Bis zum Jahre 1624 gab es bereits 1246 Mitglieder. 1628 folgte die Gründung der Sebastiansbruderschaft. Ihre Entstehung ist auf die im Lande wütende Pest zurückzuführen.

 

Von Geistern

Als meine Großmutter 17 Jahre alt war, pilgerte sie mit einigen Freundinnen zur St. Martinskirche hinauf. Sie beteten dort und gingen, als es schon dämmerte, noch um die Kirche herum und schauten dann zufälligerweise zum Sakristeifenster hinein. Da sahen sie drinnen einen Priester, der hatte ein aschfahles Totengesicht und bekleidete sich eben mit den kirchlichen Gewändern, als wollte er die Messe lesen. Die Mädchen begannen sich zu fürchten und liefen davon. Diesen Priester hatten früher schon mehrere Personen gesehen. 

Das alte Möhrle, das viele Jahre in St. Martin Mesner war, sah öfters einen Mesner aus der Sakristei kommen, mit einem Lichthörnchen in der Hand. Der Mesner trat zum Hochaltar hin, als wollte er die Kerzen löschen und verschwand dann immer. Dieser Mesner, so erzählt die Sage, habe einmal vergessen die Kerzen zu löschen und durch diese Liederlichkeit sei der Hochaltar abgebrannt und darum finde er jetzt keine Grabesruhe.

Das alte Möhrle musste, da man in der Pfarrkirche draußen auf den anderen Tag noch ein schwarzes Messgewand vermisste, noch spät am Abend, als es schon bald Mitternacht war, nach St. Martin hinein, ein schwarzes Messgewand holen. Als Möhrle in die Kirche trat, sah er in den vorderen Bänken jemanden sitzen. Er holte aber dennoch das Messgewand und schloss die Türe wieder zu. Am anderen Tag war an dieser Stelle ein weißer Fleck. Der Mesner strich diese Stelle schwarz an, aber am anderen Tage war auf der Bank wieder ein weißer Fleck. Man nagelte deshalb ein Brett darauf, das heute noch zu sehen ist. 

Auf dem Gebälk ob dem Vorzeichen sei auch ein Geist, der habe einen roten Rock an. Zwei Kinder, welche in der Nähe der St. Martinskirche daheim waren, gingen noch spät am Abend zur Kirche hinauf Putzsand holen. Als sie zur Kirche hinauf kamen, sagte das eine Kind: „Schaut dort hinauf! Dort oben ob dem Vorzeichen ist ein kurioser Mann und winkt zu uns herunter.“ Das andere Kind sah auch hinauf, sah aber längere Zeit nichts. Erst nachdem es eine Weile hinaufgeschaut hatte, sah es droben einen Mann stehen, dieser Mann hatte einen roten Rock an und als Kopfbedeckung diente ihm ein altes Montafoner Meßle. Dieser Mann hatte auch ein langes, weißes Gesicht und einen starren, toten Blick und drohte den Kindern mit dem Finger. Die Kinder vergaßen darüber Putzsand mitzunehmen und liefen erschrocken davon. 



Riesen, Geister und geheimnisvolle Lichter

nach Hensler

 

Kaum ein Kirchlein des Landes ist von so vielen Geheimnissen umwittert, wie die St. Martinskirche in Ludesch. Nicht nur ihre romantische sagenreiche Umgebung, auch ihre Lage auf dem alten Rebhügel hat dazu beigetragen, diesen Kranz zu winden. Denn vor viel hundert Jahren wuchs auch im Walgau ein herber Wein, den die Reisigen nicht verschmähten. Heute noch liegt dem Ort etwas davon an, wie immer dort, wo Wein wuchs, sich auch Geschichten begaben, die andernorts nicht möglich gewesen wären. Zuweile ist es, als ob einem die Fenster der Kirche mit einem Auge zublinzelten, und dies hat wiederum nicht viel mit Frömmigkeit zu tun, um die es letztlich jedem Kirchenbeschauer geht, auch wenn er nicht zu kurzem Gebiet niederkniet. 

Immer wieder führt mich meine Liebe zu all diesen lange vergangenen und geheimnisvollen Dingen, die nicht für jeden begreiflich sind. Aber sie konnten sich nur im Bereiche der Kirche zutragen, wo Jahrhunderte hindurch die menschliche Sehnsucht ihre Erfüllung suchte. 

Man sagt vom St. Martinskirchlein, dass es uralt sei. Die gotische Form bestätigt es und auch der Umstand, dass es dem Streiter St. Martinus geweiht ist. Schon zur Zeit Karls des Großen soll es dort, mitten in den Rebgärten, gestanden haben. Ein Riese aus Parx, einer Parzelle des Ortes, soll den schon erlahmenden Bewohnern von Ludesch beim Bau der Kirche mitgeholfen haben, und die Arbeit soll ihm wie einem Zauberer von der Hand gegangen sein. Dann sei die Kirche fertig dagestanden in ihrer Pracht und habe mit den weißgekalkten Mauern weit ins Tal hinabgeleuchtet. Aber da seien die Leute ratlos gewesen, wie sie nun die Glocke den steilen Hang hinaufschaffen sollen. Verzagt hätten sie gejammert, all ihre Opfer um die Glocke seien nun vergebens gewesen. Indes kam aber wieder dieser Riese aus Parx daher, schwang die Glocke mit gewaltiger Kraft auf den Rücken und trug sie durch die Reben empor auf den Berg. Die Leute sahen ihm nach und wussten nicht, was sie dazu sagen sollten. Diese Riesenkraft schien ihnen unheimlich. Sie fürchteten, der Riese könnte Ungebührliches von ihnen verlangen. Aber der Riese lachte nur und trat mit einer sehr irdischen Forderung an die Bauern heran: er verlangte Wein genug und sie brachten ihm erleichtert, einen ganzen Melkeimer voll, den er in einem Zuge austrank, den Bart wischte und davonging. 

Um diese Geschichte mit dem Riesen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, malten die Nachfahren sein Bild mit der Glocke auf die Außenseite einer Kirchenwand. Doch davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. Die Glocke aber läutet in einem wunderbaren Ton. Man erzählt, dass er durch den ganzen Walgau geklungen habe, ja selbst im innersten Montafon hätte man ihn noch vernehmen können.

Zu dem Kirchspiel gehörten damals auch die Montafoner bis hinein nach Gargellen. Sie hatten einen weiten Kirchweg und mussten um Mitternacht schon aufbrechen, um die Sonntagsmesse zu hören, oder um einen Toten auf den Kirchhof zu tragen. Viele bestritten, dass man die Glocke von Ludesch bis nach Gargellen hören könne, und dass es nicht mit rechten Dingen zugehe, wenn einer dies behaupte. Da war ein Senn namens Lupis, der lächelte überlegen. Er behauptete, es gehöre wenig Frömmigkeit dazu, um die Glocke zu hören. Freilich, seine Wildheit und sein eigenbrötlerisches Wesen trugen ihm wenig Freundschaft ein, und man verdächtigte ihn gern des Umganges mit dem Teufel. Nicht einmal zur Älplermesse kam er nach St. Martin und so schickte man ihm den Büttel, um ihn zum Kirchgang zu zwingen. Lupis machte sich nichts daraus. Er lachte den Büttel aus und sagte, er habe es nicht nötig, sich von ihm holen zu lassen. Er höre das Messläuten bis auf die Alpe und wenn er nur wolle, auch die Messe selbst. Der Büttel möge sich überzeugen und mit dem rechten auf seinen linken Fuß treten.  Zögernd tat es dieser und siehe, er hörte die Glocke der Martinskirche zu Ludesch zur Wandlung läuten, die Schellen der Ministranten klingeln und den Messgesang der Kirchleute. Der Büttel horchte erst, dann ward er sich des Ungeheuerlichen bewusst und stürzte voll Furcht davon. Jetzt wusste man, dass es der Senn mit dem Teufel hielt, und man mied ihn bis an das ungewisse Ende seines Lebens. Denn er war mit einem Male aus der Alpe verschwunden.

Eine andere Sage erzählt man sich über ein Madonnenbild in der Kirche. Dies stand auf dem rechten Seitenaltar, war uralt und aus Holz geschnitzt. Über die rechte Wange, von der Stirn bis zum Kinn, zeigte es eine tiefe Schramme. Sie rührte, wie sich die Leute dort erzählten, von dem Schwerthieb eines Landknechts her, der in seinem Übermut auch das Heiligste nicht schonte. Aber da geschah ein Wunder. Das Kindlein auf dem Arm der Mutter wandte sich vor Furcht und Schrecken von ihr ab, dass es dem Schwerthieb entgehe. Danach aber konnte es sich nicht mehr zurückbewegen und so oft man versuchte, es wieder zur Mutter hin zu drehen, misslang es. Den Freiherr aber hatte die Strafe auf den Fuß getroffen. Schon an der Kirchentüre war er zusammengebrochen (tot).

Auch Geistersagen weben um das alte Martinskirchlein. Im Volk erzählt man sich heute noch die Geschichte von einem liederreichen Mesner, der das schöne alte Altarbild durch Nachlässigkeit hatte zugrunde gehen lassen. Dafür musste er jahrelang geistern, man sah ihn des Nachts mit einem Löschhörnchen aus der Sakristei kommen und versuchen die Kerzen zu löschen, die gar nicht brannten. 

Ein anderer Geister sei der eines Priesters gewesen, der aschfahlem Totengesicht die Messgewänder überzog, als wollte er die Hl. Messe lesen. Er habe in seinem Leben seine Priesterpflichten nicht immer erfüllt. 

Ein dritter Geist saß einmal des nachts, als der Mesner Möhrle ein schwarzes Messgewand für die Pfarrkirche holen wollte, in der Kirchenbank und rührte sich nicht. Am anderen Tage zeigte ein weißer Fleck, der sich mit nichts entfernen ließ, die Stelle an, auf der der Geist gesessen hatte. 

Auch auf dem Gebälk ob dem Vorzeichen nistete ein Geist, der sich einmal zwei Kindern zeigte, die nahe bei der Kirche Sand holen wollten. Er trug einen roten Rock und auf dem Kopf ein Montafonermeßle. Das lange, weiße Totengesicht bewegte sich, als er den Kindern mit dem Zeigefinger drohte, sodass sie den Sand wieder fallen ließen und voll Furcht davonliefen.

Geheimnisvoll waren auch die Lichter, die ein Ludescherberger, als er um Mitternacht herum mit seinem Sack Mehl aus der Mühle an der Kirche vorbeikam, bemerkte. Er fand die Kirche hell beleuchtet, hörte Orgelton und fromme Lieder erklingen, und als er sich überzeugen wollte, was für eine Andacht in der Kirche um diese Stunde noch gefeiert würde, fand er darin alles still und dunkel, als ob nichts gewesen wäre.

Auch brennen hat man die Kirche zuweilen gesehen. Sie stand in einer feurigen Lohe, die laut prasselnd über dem Dach zusammenschlug und dies vollzog sich einige Male, dann war der ganze Spuk verschwunden. 

Wenn man es genau nimmt, geistert und spukt es in allen Winkeln der Kirche, zuweilen hört man darin ein Schreien, dass es einem durch Mark und Bein geht, als ob jemand gemartert würde. Es gibt heute noch Leute, die sich um Mitternacht nicht um viel Geld in die St. Martinskirche wagen würden.

So steht sie oben, einsam und allein mit all ihren Geschichten aus Geschichte und Sage, auf dem Hang und hat ihren alten Zauber der Schönheit und Altehrwüdigkeit bewahrt bis auf den heutigen Tag. Doch wenige der Verbeihastenden und die Kirche nur flüchtig Beschauenden wissen um ihre Geheimnisse, die sie nur jenen lüftet, die sich tiefer mit ihr befassen.